Wie lebten unsere Vorfahren

Auswanderung

Die Diskriminierung der nachwachsenden Generation beim Landkauf geht zeitlich einher mit einer zunehmenden Einschränkung des Privilegs der Wehrfreiheit. Beide Maßnahmen zwingen viele unserer Vorfahren erneut zur Auswanderung, diesmal nach Rußland. Sie folgen einem großzügigen Angebot der Zarin Katharina II. 

Die Anzahl der nach dort abgewanderten Wiehlers läßt sich nur schwer feststellen, da die Auswanderung nicht in allen Fällen in den Kirchenbüchern vermerkt wurde. Es war wohl der gesamte Geburtenüberschuß dieser Periode. Die Auswanderungswelle erreicht ihren Höhepunkt zwischen 1803 und 1811 und halt bis 1895 an. Insgesamt wandern rund 10 000 Mennoniten nach Rußland aus, während die Zahl der in der Weichselniedrung verbleibenden in dieser Zeit mit rund 13 000 relativ konstant bleibt. 


Landschaft in Westpreußen

Es folgen Auszüge aus Namensverzeichnissen "der plattdeutschen Rußlandwanderer" der mennonitischen Kolonien Choritza in der Ukraine und Molotschna in Südrußland:

  • Dorf Neuenburg, 1773 WIELER Johann,
  • Dorf Rosenthal; 1789 WIELER Nicolaus, 48 J. aus dem Danziger Kreise, aus dem Dorf Rehwalde, Landmann, Frau Anna 48, 4 Kinder 
  • Dorf Schönhorst, 1802: WIEHLER Heinrich,
  • Dorf Rosenthal, 1803: WIELER Claß, 34 Jahre, Frau Anna 34, 4 Kinder
  • Molotschna 1804: WIEHLER Johann aus Ellerwald, 2. Trift, geb. 1771, verh. mit Agnetha Kröker
  • Kolon. Blumenort 1805: WIELLER Heinrich, 37 J. aus Halbstadt, Amt Marienburg, Frau Agnetha, 32, 3 Kinder
  • Nieder Choritza, 1814: WILLER Peter , 36 Jahre, Frau Katharina 25, 2 Kinder
  • Molotschna, 1818: WIELER Cornelius aus Ellerwald, 2. Trift, verh. mit Catharina Thimm, 4 Kinder
  • Molotschna, 1832: WIEHLER Abraham aus Ellerwald, 2. Trift, geb. 15.9.1800, verh. mit Agatha Dyck aus Ellerwald, Sohn Cornelius, geh. 19.9.1826 in Ellerwald

Diese Liste der nach Rußland ausgewanderten Verwandten umfasst 33 Personen, Sie ist sicherlich nicht vollständig. Es ist nicht bekannt, wie lange die Ausgewanderten mit ihren im Werder verbliebenen Angehörigen in Verbindung standen. Sie wird vermutlich schon vor 1900 eingeschlafen sein. Bekannt aber ist das traurige Schicksal, welches dieser Teil der Familie zu erleiden hatte. Wer die Wirren der russischen Revolution in der Sowjetunion überlebt, wird mit Gewißheit Opfer des stalinschen Terrors. Enteignung, Verbannung und Deportation in Zwangsarbeitslager Sibiriens während des 2. Weltkriegs sind die Regel. Im Unterschied zu vorangegangenen Verfolgungen in der Geschichte der Familie, ist die Ursache diesmal weniger in ihrer konfessionellen Ausrichtung zu suchen, sondern vor allem in dem Umstand, daß sie aus Deutschland stammen. In Stalins Augen waren sie Deutsche. Dabei war es belanglos, daß sie schon etliche Generationen in Rußland lebten. 


Einige der Verwandten sind nach Kanada, Mexiko und Paraguay entkommen. Dort leben sie im Chaco, im Norden Paraguays, in den von Mennoniten gegründeten Kolonien "Filadelfia" und "Femheim." 

Auch im tropischen Regenwald von Belize, in den Kolonien "Schöntal" und "Rosenhof' im Cayo District und bei Orange Walk Town, gibt es Nachfahren der aus Rußland emigrierten Wie(h)lers. Sie leben dort unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen. Ihre Umgangssprache, die Sprache ihres Gottesdienstes ist heute, wie vor Jahrhunderten in Westpreußen, das Plattdeutsche. Ihr Lebenszuschnitt ist in jeder Hinsicht als streng konservativ zu bezeichnen. 

Informationen über die Existenz von Nachfahren der oben genannten Einwanderer im heutigen Rußland liegen nicht vor. Die künftige Familienforschung sollte dem Verbleib und Schicksal der Rußlandauswanderer nachgehen. 


Zwei im letzten Jahrhundert bekannte Persönlichkeiten aus dem russischen Teil der Familie, die Brüder Gerhard und Johann Wieler, werden im Kapitel D, Personen und Bilder aus der Familiengeschichte, vorgestellt. 


Auf eigener Scholle

Der mehrheitlich in Preußen verbliebene Teil der Familie kann in wirtschaftlicher Hinsicht bald besseren Zeiten entgegensehen. Über Generationen sind unsere Vorfahren lediglich Pächter der von ihnen urbar gemachten Ländereien. Es handelte sich um zeitlich begrenzte Pachtverträge, die nach Fristablauf verlängert werden. Noch 1820 wird den mennonitischen Pächtern durch Regierungsanordnung gedroht, ihre Höfe nach Ablauf der Verträge anderweitig zu verpachten, sofern sie nicht bereit seien, ihren Wehrdienst zu leisten. Nach vielen Eingaben und Interventionen mennonitischer Delegationen bei Hof, werden die Pächter durch das Ablösungsgesetz vom 2. März 1850 schließlich zu Eigentümern ihrer Bauernhöfe erklärt. Die Wiehlers sitzen somit rund 250 Jahre nach der Vertreibung aus der Schweiz und ihrer Ansiedlung im Weichseldelta erstmalig wieder "auf eigener Scholle". Sie sollen sich daran allerdings nur 95 Jahre erfreuen dürfen. 


Zur Hebung des Wohlstands trägt darüberhinaus der technische Fortschritt in der Landwirtschaft bei. Zu den erfolgreichen Landwirten gehören auch Wiehlers. Der Anbau von Zuckerrüben, Milchwirtschaft und Pferdezucht führen bis zum Beginn des 2. Weltkriegs zu einem bis dahin nicht gekannten Wohlstand. Einige Familienangehörige erweitern ihre landwirtschaftliche Anbaufläche durch Zukauf und werden dadurch zu Gutsbesitzern. 


Ein nicht geringer Teil der Familie integriert sich zunehmend in das berufliche und kulturelle Umfeld seiner ländlichen Umgebung. Die aus religiösen Gründen selbstauferlegte Nichtteilnahme am öffentlichen Leben findet zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Ende, oder ist zumindest nicht mehr durchgängige Familiennorm. Man wird Aufsichtsrat einer Zuckerfabrik, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Vereins des Kreises und als Pferdezüchter Mitglied der Reit- und Fahrschule, des ostpreußischen Warmblutverbandes etc., etc... 

Aus den ursprünglich "Stillen im Lande" sind nach 300 Jahren Bürger geworden, welche erfolgreich am wirtschaftlichen und sozialen Leben teilnehmen.