Wie lebten unsere Vorfahren

Zum besseren Verständnis der Geschichte und Herkunft der Familie soll in den nachfolgenden Kapiteln auf das sozio-kulturelle Umfeld der Famlie in Preußen eingegangen werden. 

Für Jahrhunderte, bis zum Jahr 1945 war die überwiegende Mehrheit der Wiehlers mit der Landwirtschaft aufs engste verbunden. Hinzu kam, daß die von ihnen bewirtschafteten Flächen im Flußdelta der Weichsel in der Regel unter dem Meeresniveau lagen, was eine kunstvoll geplante Entwässerung erforderlich machte. Durch diese äußeren Umstände wurde die Lebens- und Denkweise unserer Vorfahren nachhaltig geprägt. 


Entwässerung und Sumpffieber

Gehen wir zurück in jene Zeit der ersten Ansiedlung von Täuferflüchtlingen im Weichselgebiet. Die ersten bekannten Pachtverträge, welche unsere Vorfahren in den Jahren 1601 (Tiegenhof) und 1652 (Ellerwald) abschließen, sind zeitlich befristet. Das kommt den anfänglichen Interessen der Pächter entgegen, da die politischen Rahmenbedingungen in Polen zunächst unsicher sind und ein Pachtbesitz schnell wieder aufgegeben werden kann. 

Die Leistung der ersten Siedler müssen wir nachträglich in aller Form bewundern. Die weiten sumpfigen Flächen müssen zunächst mit Entwässerungsgräben durchzogen werden. Dieses geschieht in mühseliger Handarbeit. Warften werden aufgeschüttet. Auf ihnen wird anschließend das Wohnhaus mit Stall errichtet. Entlang der kleinen Flüsse namens Lake, Tiege, Thiene, Sorge, Linau, welche das Delta durchziehen, werden in jahrelanger Arbeit Deiche aufgeschüttet. Auf den Deichen werden Windmühlen mit einem aus den Niederlanden entwickelten, raffiniert ausgeklügelten Schneckenradgetriebe errichtet, mit deren Hilfe das Wasser in die höher gelegenen Vorfluter abgeleitet wird. Auf diese Weise wird das niedriger gelegene Land entwässert. 


SCHÖPFMÜHLE IM WERDER

Sumpffieber rafft einen Teil der ersten Siedler dahin. Aus jener Zeit stammt das auch unter den Mennoniten gängige Sprichwort:

"Die erste Generation hat den Tod, die zweite die Not, die dritte das Brot." 

Mit seinen weißen, sich drehenden Windmühlenflügeln, den weidengesäumten Kanälen, Vorflutem, Dämmen und Deichen, dem schwarzbunten Vieh, dem weiten Himmel und den niedrigen Häusern entsteht in Jahrzehnten, nein, in Jahrhunderten "das Bild einer typischen holländischen Marschlandschaft" Ein Sumpf- und Seengebiet wird allmählich in eine fruchtbare, unverwechselbare Kulturlandschaft umgestaltet. 


Krieg und Deichbrüche

Aber die Zeiten bleiben nicht friedlich. 1626 wird das Weichseldelta vom schwedischen König Gustav Adolf überfallen. Die Niederungsbauern werden von der schwedischen und auch von der polnischen Armee mit hohen Abgaben drangsaliert. Vieh und Getreide werden ihnen genommen. Viele Bauernhöfe gehen in Flammen auf. Als der zweite schwedisch-polnische Krieg im Jahr 1660 beendet ist, kommen weitere Katastrophen auf das Land zu. 

Am 10. Januar 1674 verwesten Deichbrüche an der Weichsel und der Nogat die Heimat der Familie. 


"Eine Wasserwüste erstreckt sich von Danzig bis Elbing. In den Jahren bis 1678 besaßen die in den tiefgelegenen Niederungen des Deltas wohnenden Mennoniten nur Wasserhufen, von denen sie nichts ernten konnten. Manche gaben voller Verzweiflung ihren Hof auf." 


Mennonitengemeinden in den Niederlanden und in Hamburg spenden für die Notleidenden. 


Schwierige Lebensbedingungen

Die Häuser unserer Vorfahren werden aus Holz auf einem Fundament aus Ziegeln errichtet. Holzhäuser trocknen schneller aus als Steinhäuser. Das teure Bauholz stammt aus den polnischen Wäldern und wird in Flößen auf der Weichsel stromabwärts transportiert. Die Stuben sind in der Regel klein. Ihre Zahl ist begrenzt. Nicht alle Räume sind im Winter beheizbar. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wird mit Stroh und Weidenstrauch geheizt. 

Im Winter gehören Wasserwacht und Eiswacht zu den regelmäßigen Aufgaben der Vorfahren. Droht Gefahr, erreicht der Eisgang eine gefährliche Höhe, müssen die Deichgeschworenen unter Anweisung des Deichhauptmanns hinaus, um die notwendigen Sicherungsarbeiten an den Deichen durchzuführen, bei Tag oder bei Nacht. 


Die Verkehrsverhältnisse im Werder sind zu jener Zeit allenfalls im Sommer als erträglich zu bezeichnen, im Herbst und Frühjahr dagegen bleiben die Fahrzeuge häufig im Morast ("Werderblott") stecken. Erst im 19. Jahrhundert wird die Strecke Danzig - Elbing als einzig feste Chaussee der Region gebaut. Eine Brücke über Weichsel und Nogat gibt es jedoch nicht. Der Verkauf von Vieh und Getreide, aber auch das Reisen sind somit stark von der Jahreszeit abhängig. 


Grund und Boden

Als Problematisch erweist sich für die mennonitischen Bauern, daß ihnen über Generationen der Erwerb von Grundeigentum verwehrt, zumindest aber erschwert wird. Sie leisten keinen Bürgereid und vor allem keinen Wehrdienst und sind damit in den Augen der Obrigkeit keine vollwertigen, mit allen bürgerlichen Rechten auszustattende Untertanen. Zu polnischer Zeit kann der Grundsatz der Wehrlosigkeit ohne größere Schwierigkeiten behauptet werden. Dies gilt Anfangs auch für die preußische Zeit. Zwar wird den Mennoniten gestattet, untereinander Grund und Boden zu verkaufen und zu vererben, der Kauf von Immobilien aus der Hand von Lutheranern unterliegt aber der ausdrücklichen Genehmigung durch die Kriegs- und Domänenkammer in Marienwerder. Im königlich preußischen Edikt von 1789 "Die zukünftige Einrichtung des Mennonitenwesens betreffend" heißt es: 


"Es kann denjenigen Mennonisten, welche sich der allgemeinen Verbindlichkeit, das Vaterland zu verteidigen, noch ferner entziehen wollen, in Zukunft nicht gestattet werden, die zahl ihrer Besitzungen zu vermehren oder deren Umfang zu erweitern, und die mit der Enrollementsfreiheit verbundenen Vorteile zu benutzen, um andere, dem Staate nützlichere Glaubensgenossen zu verdrängen." 

Mit diesem Edikt wird vielen Söhnen aus traditionell kinderreichen mennonitischen Familien eine Existenzmöglichkeit als Landwirt in ihrer Heimat genommen. Nach knapp zweihundertjähriger Anwesenheit in der Weichselniederung, in relativem Frieden und frei von Verfolgung, sieht sich die Familie aufgrund ihrer religiösen Überzeugung erneut einer Diskriminierung durch die Obrigkeit ausgesetzt. In einer Eingabe klagen die Mennoniten: 


"In dem Lande, das unsere Vorfahren mit vieler Mühe und großen Kosten dem Meere abgerungen haben, da sind wir zu Fremdlingen geworden und viele der Unsrigen haben ihr geliebtes Vaterland mit Thränen verlassen müssen:"