Polenreise 2005

Mit dem Erlebnis Wiehler-Tage im Gepäck machten sich 42 Teilnehmer auf, um in Potsdam die restlichen Mitfahrer der anschließenden Bustour nach Polen zu treffen. Menschen im Alter von 8 - 87 hatten sich zusammengefunden, um unter Leitung von Oskar Wedel und Frank Wiehler auf Entdeckungsreise ins heutige Polen zwischen Elbing, Marienburg und Danzig zu gehen.

Entlang der alten Reichsstraße 1 ging es von der Grenze bei Küstrin/Kostrzyn auf der jetzigen Nr 22 durch viel unberührte Natur der großpolnischen Seenplatte gen Nordosten. Ein polnisches Fernsehteam zeigte Interesse an unserer Reise. Wir waren einverstanden und so wurden wir in den folgenden Tagen ständig gefilmt. Eine DVD konnten wir am Ende nach Hause tragen.


Wir starteten früh vom Hotel Elzam am Altstadtrand von Elbing, da uns heute die Fahrt auf dem Oberländischen Kanal erwartete. Diese technische Meisterleistung des 19.Jahrhunderts hat seit seiner Eröffnung ununterbrochen mit dem von Wasserkraft betriebenen Räderwerk, Schiffe über Land gezogen. Seinerzeit wurden damit Wirtschaftsgüter von Osterode zum Ostseehafen verschifft. Heute staunen Touristen und wir konnten dank des einsetzenden Regens unter Deck den zahlreichen Wasservögeln in die Augen schauen. Auf einer Teilstrecke des 82 km langen Kanals werden auf diese Weise 104 Höhenmeter überwunden. Das geniale System erfand ein Ingenieur aus Königsberg, Georg Jakob Steenke, der am südlichsten "Rollberg" in Buchwald mit einem Denkmal geehrt wird.

 

Für die Marienburg blieb uns nur wenig Zeit. Dem Backsteinmonument aus dem späten 14. Jahrhundert konnte man sich inmitten der Touristenströme und bei strömendem Regen ohnehin nur annähern. So bleibt es Interessierten überlassen, die Geschichte des Deutschritterordens und der Erschließung des Landes von 1226 bis zur Schlacht bei Grunwald/Tannenberg 1410 nachzulesen und zu staunen über die polnischen Renovierungskünste seit 1945.


Emotionaler Höhepunkt war für mich das Kaffeetrinken unter dem Dach der Vorlaube in Klettendorf. Solche Vorlaubenhäuser gab es in den Weichselniederungsgebieten zahlreiche. Die neun Ständer dieses Fachwerkbaus zeigten die Größe des Hofes an. Mit dieser Einladung war Frank ein Meisterstück an Vermittlung und Organisation gelungen: Unsere gesamte Gruppe wurde von freundlichen Menschen beidseits der Dorfstrasse begrüßt und liebevoll mit Kaffee und Kuchen verwöhnt. 


In Preußisch Rosengart hielt Erwin Cornelsen eine Andacht in der ehemaligen Mennonitenkirche. Mir selbst sind nur Namen vertraut aus Erzählungen und ich sehe fast mit Touristenaugen auf Gebäude und Landschaften, während meine 5 Jahre ältere Zimmergenossin lebhafte Erinnerungen auf der Zunge trägt und ihren Kindern mitteilen kann. Am Abend beim einfachen Mahl unter den alten Eichen von Kaisers Sommersitz, dem Gestüt Cadinen, gab es genügend Stoff über einst und jetzt zu sprechen.


Feierlicher Empfang durch den Bürgermeister im Rathaus von Elbing/ Elblag am nächsten Tag und Pressegespräch. Er nahm sich viel Zeit und war freudig überrascht von Franks Gabe für das Museum der Stadt: Ein mennonitischer Katechismus von 1837. Wir trugen uns ins goldene Buch der Sadt ein und später konnten wir Bilder davon in Zeitungen und Fernsehen erleben. Wir scheinen langsam in Europa anzukommen!


Wir wurden in die ehemalige Mennonitenkirche Elbing-Ellerwald geführt, die Wirkungsstätte von Rudolf Wiehler bis zu seinem Tod 1923 war. Nachmittags fuhr insbesondere der Cornelsen-Zweig seinen Spuren nach. Der Rest der Gruppe besuchte die Ruinen des Schlosses in Schlobitten, einem ehemaligen Besitz der ostpreußischen Adelsfamilie Dohna. In Frauenburg/Frombork blieb Zeit für einen schnellen Blick in die mächtige Kathedrale, die von 1288 bis 1945 Sitz der ermländischen Bischöfe war und in der Nikolaus Kopernikus als Domherr wirkte und mit seinen Thesen zur Astronomie das mittelalterliche Weltbild revolutionierte. 


Hier stiegen wir in einen Ausflugsdampfer, der uns sicher über das Haff nach Kahlberg/Krynica Morska brachte . Beim Baden im kühlen Ostseewasser kamen manchem Erinnerungen an Vorkriegs-Sommerfrischen, andere mußten an die Schrecken der winterlichen Haffquerung 1945 denken. Die Stadt Frombork hat am Ufer einen Gedenk-Stein aufgestellt. Am Ende der Nehrung wurde bei der Durchfahrt durch Stutthof/Sztutowo des 1939 dort errichteten ersten Konzentrationslagers erinnert, in dem bis Kriegsende ca 85.000 Menschen aus allen Teilen Europas ermordet wurden.


Der nächste Vormittag war Danzig gewidmet, das uns auch bei Regen mit seinen Kostbarkeiten beeindruckte. Wir besichtigen die Westernplatte, wo 1939 der 2. Weltkrieg begann. 1980 gründeten Danziger Werftarbeiter die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc. Ein Startsignal zur politischen und wirtschaftlichen Umgestaltung ganz Polens.


Wir fuhren weiter durch Wiehler Country, besuchten mennonitische Friedhöfe und trafen Jugendliche Niederländische, polnische und deutsche Mitarbeiter eines Workcamps, die eine Schule in Tiegenhof und den mennonitischen Friedhof in Orloff renovieren. Zum Abendessen im Restaurant Vogelsang, das schon Feste unsere Vorfahren erlebte, wurde es sehr feierlich und ein wenig wehmütig, dass diese intensive Zeit, die Henryk Milosz wunderbar mitplante und begleitete schon zuende ist. Oskar Wedel hatte uns mit eigenen Sonnetten zu den Jahreslosungen begleitet.


Ich möchte diesen Bericht mit einem Zitat aus dem Buch von Christian Graf von Krockow schließen, der aus dem Gedicht "Heimat" von Marie Luise Kaschnitz zitiert:


„Auf die Heimat, an die ich denke, können

keine Grundbriefe ausgestellt werden, keine

Übereignungen, keine Erbscheine.

Rache wird nicht geschworen für diese unsere Heimat.

Denn sie kann nicht erobert werden,

Niemals wird sie uns völlig verloren gehen.

Wer von seiner Heimat redet, erweckt viele 

Erinnerung.

Alle, die ihm zuhören, sehen die eigenen Bilder, 

Seine Sehnsucht ist der Stab, der den Quell aus 

den Felsherzen schlägt,

Sein Heimweh bahnt den Weg durch das Meer

des Vergessens.“


Ute Krischke (4.1.6.3)